Die Kommission hat die Blockfreistellungsverordnung für den Versicherungssektor von 1993 nicht verlängert, sondern eine neue Freistellungregelung erlassen, die die bisher gepflegte Praxis der einheitlichen Musterbedingungen nicht fortsetzt.
Das führt zu einigen Gedanken hinsichtlich der Produktentwicklung.
Produkte der Lebensversicherung sind mathematisch konzipierte Gestaltungen. In den Versicherungsgesellschaften sind Mathematiker zuständig für die Entwicklung, Kalkulation und Steuerung des Produktportfolios.
In der vergangenen Dekade wurde die Lebensversicherung in außergewöhnlich starkem Umfang Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen. Nur im Vordergrund ging es um Leistungsfragen, realistisch betrachtet stand das Geschäftsmodell der Kapitallebensversicherung auf dem Prüfstand.
Das vertraute Modell des Versichertenkollektivs wurde in hohem Maße umgebaut zu einem Modell des versicherten Individuums.
Erheblicher Vertrauensverlust in allen Zielgruppen
In der jüngsten Vergangenheit verspielt Missbrauch des Bestandes der klassischen Lebensversicherung zu Gunsten des Geschäftsmodell „Kapitalisierungsverträge“ zur Erzielung von Beitragswachstum weiteres Vertrauen der Zielgruppe. Zinsmargengeschäfte in großem Ausmaß zu Gunsten der finanziellen Literaten zerstören die Ersparnisse von Millionen Kleinsparern.
Zusammenfassend: Partikularinteressen haben das Modell bis an den Rand der Existenzgefährdung gebracht
Analyse
Warum?
Wirkliche Kooperation der kompetenten Wissenschaften fehlte.
Mathematiker konzentrieren sich auf die Kalkulation, variieren die klassischen Module der Lebens- bzw. Rentenversicherung in immer komplexeren Produkten.
Juristen beschränken sich auf die formale Abnahme der Bedingungen, nutzen die aus der Zeit der Regulierung stammenden Derivate, die Muster – AVB, als Benchmark, um ihr Einverständnis mit den Formulierungen zu rechtfertigen.
Dabei bleibt die Transparenz des Produktes auf der Strecke. Geopfert dem nachvollziehbaren Interesse der Mathematiker nach Schutz ihrer Geschäftspläne vor Einsichtnahme durch den Wettbewerber.
Lebensversicherung ist ein notwendiges Produkt. Der Gesetzgeber kann und soll nicht sämtliche Daseins und Zukunftsfürsorge für den Bürger darstellen. Lebens-/Rentenversicherung ist langfristige Daseins- und Zukunftsfürsorge.
Daseins- und Zukunftsfürsorge erfordert Vertrauen der Nutzer.
Vertrauen schaffen kann nur ein Produkt, das vom Käufer verstanden wird.
Verstehen kann der Käufer ein Produkt nur dann, wenn die Mechanismen des Produktes verstanden werden. Verständnis kann sich nur dann entwickeln, wenn das Produkt transparent dargestellt wird.
Nicht jeder Käufer muss dieses Produkt verstehen. Allerdings muss jedem Käufer, der sich mit diesem Produkt auseinandersetzen will und verstehen will, ausreichend Information geliefert werden. Das auch eine einfache Kapitallebensversicherung schon ein komplexes Produkt darstellt, ist unerheblich. Es muss dem Anbieter gelingen, den Text der Vereinbarung mit dem Kunden so zu gestalten, dass auch das komplexe Produkt verständlich wird.
Das kann nur gelingen, wenn Aktuare und Versicherungsjuristen unterstützt durch Marketingspezialisten kooperieren und ihre Produktwelt dem Einblick eines Interessierten öffnen.
Aktuare sind vom Berufsverständnis
· Die Aufgaben des Aktuars verlangen eine gute mathematische Ausbildung, solide Kenntnisse in Stochastik, Statistik und Informationsverarbeitung sowie Verständnis für wirtschaftliche Sachverhalte und Grundlagenwissen in Betriebswirtschaftslehre, Rechnungswesen und Versicherungsrecht. Durch die Tatsache, dass der Aktuar mathematischen Sachverstand in Verbindung mit wirtschaftlichem Verständnis und der Fähigkeit zum Umgang mit Informationstechnologie besitzt, wird er zu einem wertvollen und schwer ersetzbaren Mitarbeiter bei Versicherungen, Banken und Bausparkassen, aber auch bei Wirtschaftsprüfern, Unternehmensberatern und Softwareherstellern, die in diesem Bereich tätig sind. ( http://www.uni-ulm.de/einrichtungen/akademie-wwt/kursprogramm/wirtschafts-finanz-und-aktuarwissenschaften/finanz-und-aktuarwissenschaften/stellung-der-kurse-in-der-aktuarausbildung.html )
der Berufsstand, um den sich die Personenversicherung dreht.
Allerdings scheint es dem Berufsstand in den vergangenen Jahrzehnten nicht gelungen sein, alle gewünschten Funktionen in sich zu vereinigen.
Wie auch? Eine große Zahl der heute tätigen Verantwortlichen Aktuare durchlief Ihre Ausbildung zu einer Zeit, in der die Lebensversicherung nach Mustergeschäftsplänen kalkuliert wurde, die das Aufsichtsamt vorgab. Jede noch so geringe Abweichung von dem gestellten GP musste mit der Aufsichtsbehörde in einem langwierigen Prozess abgestimmt und genehmigungsfähig kalkuliert werden. Dabei wurde der Kundenfokus vollständig übersehen. Er war auch nicht notwendig. Die Aufsichtsbehörde ersetzte das mutmaßliche Kundeninteresse und schaffte mit einem Verwaltungsakt zivilrechtlich unangreifbare Fakten.
Nach 1994 änderte sich dieses Prinzip vollständig. Die Deregulierung machte es möglich. Das Aufsichtsamt war nicht länger für die Geschäftspläne verantwortlich, diese Verantwortung war gesetzlich auf das Unternehmen übertragen worden. Auf Grund seiner Kenntnisse und mangelnder Kenntnisse der Materie an anderer Stelle im Unternehmen legte dieses die Verantwortung nahezu ausschließlich in die Hände des Verantwortlichen Aktuars. Dieser hat für die korrekte, ausreichende Reservierung zu sorgen. Die Bestimmung der Reserve geschieht auf der Basis des Geschäftsplans. Dieser wird erstellt und umgesetzt von Aktuaren.
Die Erforderlichkeit von Juristen in der Wertschöpfungskette wurde und wird nur zurückhaltend bejaht. Mehr ein notwendiger als ein beliebter Bestandteil.
Schließlich leistete die Dachorganisation der Branche mit ihren Musterbedingungen den Aktuaren Hilfestellung der besonderen Art. Mit diesen MB wird den Unternehmen ein Mittel der Verschleierung der eigenen Produktkonstruktion an die Hand gegeben.
Viele der Unternehmen verwenden die Musterbedingungen ohne Rücksicht auf die Tatsache, dass viele ihrer Produkte den „Musterprodukten“ des GDV nicht einmal annähernd entsprechen.
Die Verwendung von einheitlichen Bedingungen war solange korrekt, wie die Branche Produkte anbot, die dem jeweiligen Mustergeschäftsplan entsprachen. Selbst wenn unterstellt wird, dass die Evolutionsgeschwindigkeit der unternehmensindividuellen Geschäftspläne nur niedrig ist, muss nach 15 Jahren Deregulierung von einer breiten Variation der Inhalte ausgegangen werden.
Bedingungen sind das Mittel der Kommunikation des Unternehmens zum Kunden. Vermittlern wird – wenn überhaupt - persönlich vertraut, nicht dem durch den Vermittler vertretenen Unternehmen. Bunt bedrucktes Papier ist begleitendes Rauschen, Kenntnisvermittlung in Bezug auf ein bestimmtes Produkt wird durch dieses Medium nicht geleistet.
These: Bedingungen müssen insbesondere in der Leistungsbeschreibung den Inhalten des Geschäftsplans akribisch folgen. Je komplexer das Produkt, desto umfangreicher muss die Beschreibung in den AVB erfolgen.
AVB, deren Leistungsbeschreibung nicht dem Geschäftsplan des Produktes entsprechen, sind ungenau und damit intransparent. Diese Intransparenz besteht ohne die Möglichkeit der zivilrechtlichen Heilung. Denn der tatsächliche Umfang der Leistung des Vertrages ist nicht Gegenstand der Vereinbarung geworden.